Was brauchen Menschen, um im Jahr 2050 ein glückliches Leben zu führen?

Vision Teil 3: Kompetenzen von erfolgreich agierenden Erwachsenen im Jahr 2050 (vorläufige Fassung, Stand Dezember 2024)

Die IZB
Verfasst:
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2024
Zentrale
Heilbronn
Unsere Welt wird schneller anders und anders anders. Damit wandelt sich auch der Anspruch daran, was Erwachsene Menschen im Jahr 2050 brauchen, um selbstbestimmt und erfolgreich agieren zu können.

In einer sich kontinuierlich, aber immer häufiger in einer unerwarteten Weise verändernden Welt werden wir Menschen, die wir in Verantwortung für uns, für andere und für die Welt stehen, ständig gefordert sein, Entscheidungen zu treffen. Eine stetige Flut an digital zur Verfügung gestellten Informationen und Algorithmen, die unser Verhalten beeinflussen (wollen), Herausforderungen, für die wir noch keine erprobten Verhaltensmuster haben und soziale Situationen, die – verglichen mit dem Leben im Jahr 2024 – von noch größerer Ungleichheit und Unsicherheit geprägt sein werden, fordern uns ständig heraus.

Je nach Situation und Aufgabe werden Menschen im Jahr 2050 sehr unterschiedliche fachliche Kompetenzen benötigen, die aufgrund der zu erwartenden dynamischen Veränderungen immer wieder erweitert oder umgelernt werden müssen. Die Befähigung dazu schaffen fachliche Kompetenzen, die für alle Erwachsenen im Jahr 2050 zentral sein werden.

Mindestens ebenso wichtig, wenn nicht von noch größerer Bedeutung sind grundlegende kognitive Kompetenzen, emotionale und soziale Fähigkeiten sowie Überzeugungen, Haltungen und Werte. Wenn (gefühlt) wenig bleibt, wie es schon immer war, wenn Veränderungen, die meistens von außen kommen und uns Menschen ständig mit neuen Herausforderungen konfrontieren, oft als Krisen daherkommen und von uns als vermeintliche oder tatsächliche Bedrohungen wahrgenommen werden, werden uns vor allem einige Kernkompetenzen (oder Future Skills) helfen:

Diese Zukunftskompetenzen werden im folgenden Abschnitt beschrieben. Ihre Zusammenstellung basiert auf Gesprächen mit 37 Expert:innen mehrheitlich aus der Zukunftsforschung, der Psychologie und der Pädagogik. Die Leitfrage der Gespräche war stets: „Wie wird die Welt aus Ihrer fachlichen Sicht im Jahr 2050 wohl sein und was zeichnet erwachsene Menschen aus, die in Verantwortung für sich, für andere und das Wohlergeben der Welt agieren werden?“ Die IZB hat diese Gespräche ausgewertet und vier Kompetenzbereiche identifiziert. Ein Kompetenzbereich beschreibt fachliche Kompetenzen, drei beschreiben überfachliche Fähigkeiten, die in den Bereich der Persönlichkeitsmerkmale reichen.

Fachliche Kompetenzen

Kommunizieren, sich informieren

In der Zukunft wird es noch wichtiger als heute sein, relevante Kommunikationsstrategien sowie bereichsspezifische Codes und Tools je nach Kontext und Inhalt einzusetzen. Im Einzelnen geht es um folgende relevante Kompetenzen eines Erwachsenen im Jahr 2050:

• kann sicher die Sprache derjenigen in Wort und Schrift nutzen, mit denen er oder sie in Austausch tritt

• kann Fragen stellen und aufmerksam zuhören

• kann Ideen und Botschaften klar und präzise kommunizieren

• kann nonverbale Kommunikation effektiv nutzen und verstehen

• kann auf unterschiedlichen Kanälen kommunizieren (digital, mündlich, schriftlich, etc.)

• kann empathisch auf andere eingehen und Botschaften entsprechend anpassen

Im Jahr 2050 werden wir stets Zugriff auf eine unüberschaubare Menge an Information haben. Digitale Systeme werden integraler Bestandteil unseres Alltags sein. Algorithmen auf der Basis unseres bisherigen Handelns werden unser künftiges Handeln steuern. Die Herausforderungen der Zukunft wird niemand allein bewältigen können. Dazu wird immer die Kooperation von Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen benötigt. Für eine gelingende Kommunikation ist es notwendig, die Sprache derjenigen zu beherrschen, mit denen man in den Austausch tritt.

Eine Welt, in der die Menge an verfügbaren Informationen das menschliche Fassungsvermögen schon lange überschritten hat, ist die Fähigkeit essenziell, sich die „richtigen“ Informationen zu beschaffen, zu verstehen und kritisch zu bewerten. Nur dann ist gesichert, dass Menschen informiert handeln. Ein großer Teil dieser Informationen wird in schriftlicher Form zur Verfügung stehen. Ebenso wichtig ist die Fähigkeit, Informationen so zu formulieren und festzuhalten, dass man selbst und auch andere diese Informationen unabhängig nutzen, bewerten und verwerten können. Dies wird auch durch das Verschriftlichen von Informationen geschehen. Nach heutigem Wissensstand wird also die Schrift weiterhin eine große Rolle spielen. Sinnverstehend lesen und sinngestaltend schreiben zu können bleibt bis auf weiteres eine notwendige Kompetenz.

Vergleichen, bewerten, einschätzen

In der Zukunft wird es noch wichtiger als heute sein, selbstständig Informationen zu beschaffen und zu analysieren, neues Wissen zu bewerten und zu generieren sowie Strategien zum Lösen von Problemen zu besitzen. Im Einzelnen geht es um folgende Fähigkeiten eines Menschen:

• kann Informationen beschaffen, zusammenfassen und ordnen

• kann verschiedene Standpunkte in Betracht ziehen

• kann solide Argumente für Entscheidungen nutzen

• kann die Gültigkeit und Qualität von Informationen bewerten

• kann eigene Argumentation und Annahmen kritisch hinterfragen

Je größer die Menge an Informationen, desto wichtiger ist die Fähigkeit, sie spontan eigenständig kritisch bewerten, Relationen erkennen und richtig von falsch unterscheiden zu können. Dabei helfen mathematische Grundkompetenzen, die Fähigkeit, Relationen und Entwicklungsverläufe grafisch darstellen und interpretieren zu können und die Befähigung zum abstrakten Denken.

Technische und digitale Lösungen mündig nutzen

• nutzt & versteht digitale Medien und ihre Anwendung

• hat mündigen Umgang mit digitalen Angeboten

• nutzt & versteht Technik/technische Werkzeuge

Im Jahr 2050 wird es keinen Lebensbereich geben, in dem keine technischen und vor allem digitalen Werkzeuge zur Verfügung stehen. Sie machen das Leben leichter, die Arbeit effizienter und ersetzen fehlende menschliche Ressourcen. Wir werden von ihnen abhängig sein, sie werden sich in alle Lebensbereiche einmischen und sie werden unsere Entscheidungen beeinflussen und unser Handeln steuern.

Mündige Nutzer:innen digitaler und technologischer Lösungen werden die Herrschaft über ihr Leben nicht an künstliche Intelligenzen abgeben, sondern selbst entscheiden, wann sie welche Technologie warum nutzen.

Über grundlegende Kompetenzen verfügen

Mit Unsicherheit, Ungewissheit und komplexen Herausforderungen umgehen

• kann mit Unsicherheiten umgehen

• kann mit Risiken und Scheitern umgehen

• kann auch komplexe Probleme erkennen, bewerten, lösen  

• ist bereit und fähig, Neues zu lernen

Die Berechenbarkeit von Entwicklungen nimmt ab, unerwartete Ereignisse mit nicht vorhersagbaren Folgen kommen immer häufiger und in kürzeren Abständen vor und haben teilweise gravierende Folgen: Pandemien mit Auswirkungen auf nahezu alle Lebensbereiche. Der Klimawandel mit Überschwemmungen und Waldbränden von bisher unbekanntem Ausmaß. Kriege wie in der Ukraine und in Gaza mit massiven Auswirkungen auf unsere Energiewirtschaft und auf Flüchtlingsströme.  Sprunginnovationen wie in der künstlichen Intelligenz. Diese Veränderungen und viele weitere hatten die meisten Menschen nicht erwartet. Jedoch spüren wir die Folgen auf das eigene Leben zum Teil massiv. Alle Gespräche mit Zukunftsforscher:innen liefen auf ein und dieselbe Erkenntnis hinaus: Die Welt wird schneller anders und anders anders.

Das hat zur Folge, dass die wichtigste Kompetenz der Menschen (nicht nur) im Jahr 2050 die Fähigkeit zum konstruktiven Umgang mit Veränderungen und Innovationen, mit Unbekanntem und Unberechenbarem ist, die oft auf komplexen Zusammenhängen basieren. Die größte Fähigkeit des Menschen, sich an neue Situationen anzupassen und kontinuierlich zu lernen, wird zu seinem größten Schatz. Ihre ausgeprägte Resilienz und Offenheit für Neues wird die Menschen im Jahr 2050 auch in Krisensituationen gelassen und überlegt handeln lassen.

Selbststeuerungskompetenz

• kann eigenes Verhalten bewusst und überlegt steuern

• ist fähig, flexibel zu denken, zu handeln und das eigene Verhalten an neue Situationen anzupassen

• kann sich für das Richtige entscheiden, auch wenn es das Schwere ist

In einer Welt, in der sich Gewissheiten auflösen und gelernte und bewährte Verhaltensweisen zur Lösung unbekannter Probleme häufig ungeeignet werden, wird neben der Fähigkeit, Neues zu lernen, die Fähigkeit immer wichtiger, sich selbst „im Griff zu haben“, sich selbst zu steuern. Denn gerade in Situationen, für die kein bewährtes Handlungsrezept bereit liegt, ist es essenziell, Probleme zu erkennen, zu beschreiben und sich vorstellen zu können, wie es aussieht, wenn das Problem gelöst ist. Um selbst gesetzte Ziele zu erreichen, müssen Wege entwickelt und Teilziele definiert werden. Bei auftretenden Schwierigkeiten ist es notwendig, flexibel zu handeln und Alternativen zu entwickeln, dabei das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, Frustrationen auszuhalten, sich nicht entmutigen zu lassen und so lange dranzubleiben, bis das Problem gelöst ist und man sich selbst als erfolgreich erlebt hat. Nochmals: je weniger Orientierung das Außen uns bieten kann, desto wichtiger ist die Fähigkeit, das eigene Verhalten selbst zu steuern.

Emotionale und soziale Kompetenzen nutzen

In Zukunft wird es noch wichtiger als heute sein, kooperativ und kollaborativ zu agieren und dabei anderen Respekt und Anerkennung entgegenzubringen. Im Einzelnen geht es dabei um Emotionsregulation sowie Perspektiven- und Verantwortungsübernahme.

Ich – Emotionsregulation

• kann eigene Emotionen wahrnehmen, bewerten, damit umgehen

• übernimmt Verantwortung für sich

Begegnungen mit Unbekanntem und Unerwartetem können Emotionen wie Unsicherheit, Angst, das Gefühl der Überforderung und spontane Abwehr auslösen. Man möchte der Situation entkommen, wünscht sich einfache Lösungen oder die sprichwörtliche starke Hand, die vor den Zumutungen der Welt bewahrt. Schließlich kann das Unbekannte auch Gefahren enthalten, die in einer spontanen, vielleicht zu euphorischen Reaktion übersehen werden. Auf der anderen Seite kann die Begegnung mit bisher Unbekanntem Neugier auslösen, kann bereichern und Chancen auf Entwicklung bieten.

Entscheidend für einen konstruktiven Umgang mit Veränderungen ist, wie gut es gelingt, die eigenen Emotionen zu erkennen, zu reflektieren und bewusst damit umzugehen. Dies ermöglicht, sich nicht „willenlos“ von ihnen kapern zu lassen, sondern bewusst mit ihnen umzugehen. In einer Zukunft, die von Unsicherheit geprägt ist, schützen die Fähigkeit zur Emotionsregulation und zur Übernahme der Verantwortung für das eigene Handeln vor irrationalem Handeln – sich selbst und die Gesellschaft.

Du - Perspektivenübernahme

• ist empathisch / kann verstehen, wie eine Situation auf andere wirkt  

• kann mit zwischenmenschlichen Konflikten umgehen und sie lösen

• kann einfühlsam und aktiv andere unterstützen

• kann langfristige Beziehungen & Freundschaften führen

• ist zu Kompromissen bereit

• kann konstruktives Feedback geben und annehmen

Sozialforscher:innen sagen voraus, dass die Unterschiedlichkeit zwischen Personen und deren Sozialräumen bis zum Jahr 2050 wachsen wird: die demografische Entwicklung, diverser werdende kulturelle Herkünfte, eine Vielfalt an Erstsprachen am selben Ort, verschiedene politische, ideologische und religiöse Überzeugungen, eine noch unterschiedlichere Verteilung von Reichtum und Armut und etliche weitere Faktoren werden zu einer noch heterogener werdenden Gesellschaft führen.

Umso wichtiger wird die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, ihre Perspektiven und ihr Handeln zu verstehen und das Aushandeln und Umsetzen von Entscheidungen für die Gemeinschaft anzustreben. Die wachsende Heterogenität der Bedürfnisse und damit der Erwartungen an Lösungen wird die Fähigkeit zur Kompromissfindung und zur Akzeptanz von Kompromissen immer wichtiger werden lassen.

In Krisensituationen wie z.B. anhaltender Hitze und Trockenheit ist es nicht nur notwendig, sich gut um sich und die Seinen zu kümmern, sondern auch für andere mitzudenken und zu handeln. Das bewahrt nebenbei vor Vereinsamung, einer Entwicklung, die vor allem für die älterer Generation vorausgesagt wird.

Wir – Verantwortungsübernahme

• kann Verantwortung übernehmen und mit anderen teilen

• denkt an das Wohl der Gemeinschaft, handelt bewusst altruistisch

• beteiligt sich aktiv an demokratischen Prozessen

Eine heterogener werdende Gesellschaft, in der viele sich durch eine hohe Veränderungsdynamik herausgefordert fühlen, läuft Gefahr, stärker in Gruppierungen der „mir ähnlichen“ zu zerfallen. Man lebt, getrennt nach Einkommen, in unterschiedlichen Sozialräumen, man spricht von „wir“ in Abgrenzung zu den „anderen“ und man setzt sich vor allem für das eigene Wohl ein. Entscheidungen werden an „die da oben“ delegiert, mit denen man dann aber unzufrieden ist.

Gerade eine immer heterogener werdende Gesellschaft braucht Menschen, die sich für das Interesse der ganzen Gemeinschaft einsetzen, die bereit sind, vom eigenen Wunsch Abstand zu nehmen und Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen. Sie kümmern sich zusammen mit vielen anderen um das Wohlergehen der Gesellschaft und deren zukunftssichernden Zusammenhalt.

Sich an eigenen Haltungen und Werten orientieren können

• verfügt über inneren Kompass, Werte, Orientierung

• hat Optimismus / Zuversicht

Die Welt im Jahr 2050 wird geprägt sein von einer stetigen Flut an Informationen und Handlungsoptionen. Um nicht überflutet und manipuliert zu werden, benötigen wir Kriterien, innere Landkarten und Fixpunkte, anhand derer wir uns bei der Bewertung von Informationen und Möglichkeiten orientieren können. Wir werden uns häufig in neuen Situationen wiederfinden und Erfahrungen machen, die wir noch nicht erlebt haben. Die wachsende Veränderungsdynamik kann Gefühle von Überforderung und Ohnmacht auslösen.

In einer Welt der unendlichen Möglichkeiten und der zunehmenden Komplexität kommen Menschen besser zurecht, die ihre Entscheidungen an einem inneren Kompass, einem reflektierten Wertekanon ausrichten. Eine Gesellschaft, die ständig mit neuen Herausforderungen konfrontiert sein wird, braucht Mitglieder, die trotz Krisen und Schwierigkeiten grundsätzlich optimistisch sind und zuversichtlich an die Lösbarkeit von Problemen und die Machbarkeit auch des scheinbar unmöglichen glauben.

• denkt & handelt unternehmerisch, gestaltend, vorausschauend, mutig

• ist neugierig, offen, lernbereit

• schätzt sich als selbstwirksam ein

Von Henry Ford ist der Spruch überliefert: "Ob du denkst, du kannst es, oder du denkst, du kannst es nicht – du wirst auf jeden Fall Recht behalten." Es sind die inneren Überzeugungen, die unser Handeln leiten. Gerade in Phasen der dynamischen Veränderung brauchen soziale Gemeinschaften viele Mitglieder, die in sich die Gewissheit tragen: „Egal, was kommen wird, wir werden damit umgehen können, ich will und ich werde meinen Beitrag dazu leisten.“ Der ehemalige US-Präsidenten Barack Obama hat diese Haltung in seinem Wahlkampf-Slogan auf den Punkt gebracht. „Yes, we can!“

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