Zukunftsgeschichten Teil 5: Marie, 27 aus Dresden

Mal angenommen,

• die KI entwickelt sich immer weiter und erhält in immer mehr Lebensbereiche Einzug.

„Du siehst heute so traurig aus, kann ich dir etwas Aufheiterndes sagen?“ Marie blickt in die leeren Augen von Hugo, dem Haushelfer. Zugegeben, es hat ein wenig gebraucht, bis sie sich an ihren neuen Mitbewohner gewöhnt hatte. Manchmal findet sie ihn immer noch unheimlich, vor allem, dass er auch ihre Emotionen und dunkelsten Gedanken lesen kann. „Nein”, sagt Marie. „Sag mir lieber, wie ich die Schuhgröße von Lou und Maggy ermitteln und an gute Lauflernschuhe rankommen kann.“ Kürzlich hat auch der letzte Schuhladen der Stadt geschlossen.

„Kein Problem, Marie, ich öffne dir den 3D-Scanner. Damit kannst du die Füße von Lou und Maggy messen. Die maßgeschneiderten Schuhe sind dann schon morgen in deinem Postfach. Bis dahin kannst du online den Entstehungsprozess bis zum fertigen Schuh verfolgen. Konnte ich damit deine Stimmung etwas aufhellen?“ Marie nickt. Sie ist dankbar für Hugos Hilfe. Dennoch schweift ihr Blick auf den venezianischen Schlüsselanhänger, den ihr Bruder aus Venedig mitbrachte, damals, als Venedig noch ein beliebtes Reiseziel war.

Seitdem Hugo bei ihr wohnt, weigert sich Maries Bruder standhaft, ihre Wohnung zu betreten. Er erträgt die Gegenwart des Roboters nicht, bekommt Angstzustände, fühlt sich belauscht. Kein Wunder. Schließlich hat die KI ihn seinen Job gekostet. Das, was der Friseur einst mühevoll und mit Kreativität auf die Köpfe seiner Kund:innen gezaubert hat, macht nun eine KI-gesteuerte Maschine.

Wäre ihr Bruder nicht so unflexibel gewesen, sich umzuschulen und neue Wege einzuschlagen, würde es ihm heute sicher besser gehen. Dieses Schicksal teilt er mit vielen aus ihrer Generation. Marie seufzt, und drückt den implantierten Chip rechts an ihrer Schläfe. Sofort wird die telefonische Verbindung zu ihrem Bruder aufgebaut – vielleicht kann er ihr ja später mit dem Riss im Flügel ihrer Personen-Transport-Drohne helfen.